2.-8. Oktober 2019: Leipzig

Im Rahmen der Ausstellung „POINT OF NO RETURN. Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst“ (bis 03.11.) zeigt das Museum der bildenden Künste in Kooperation mit verschiedenen Kulturinstitutionen Leipzigs eine Filmreihe, in der das Kunst und Zeitgeschehen der Wende essayistisch, künstlerisch und dokumentarisch reflektiert wird. Kuratiert wurde das Filmprogramm von Claus Löser.

02. Oktober// 19 Uhr// HGB Galerie (Wächterstraße 11, Leipzig)

Drei Filme von Jürgen Böttcher

Drei von Vielen (Jürgen Böttcher, DDR 1961, 34min)

Böttchers erster Film nach Abschluss der Filmhochschule mündete in ein Desaster: er wurde umgehend verboten und blieb dies praktisch bis 1990. Dabei mutet die Arbeit zunächst wie eine Umsetzung des im April 1959 ausgerufenen „Bitterfelder Weges“ an. Drei Arbeiter-Maler aus Dresden werden vorgestellt, die sich neben ihren Tätigkeiten im Produktionsprozess auch hin und wieder an die Staffelei stellen (O-Ton: „Sie wollen keine großen Künstler sein…“). In eindringlichem Ton scheint sich der Film an die Funktionäre zu wenden, scheint ihnen sagen zu wollen, dass man sie einfach nur beim Wort nimmt. Doch deren Misstrauen war stärker und – wenn man so will – nicht einmal unberechtigt. Denn bei den Porträtierten handelte sich um Künstler, die später wichtige Vertreter einer „anderen DDR-Kultur“ werden sollten. Schlimmer noch: auch Ralf Winkler kommt vor, Böttchers „genialer Ersatz-Bruder“ (Spiegel), der später als A.R. Penck zum wichtigsten Rebell der ostdeutschen Malerei überhaupt aufstieg und weltberühmt wurde. 

Im Lohmrund (Jürgen Böttcher, DDR 1977, 27min)

Mit diesem Film kehrt Böttcher zu seinem ureigenen, lange unterdrückten Sujet zurück: der Bildenden Kunst. Im Lohmgrund, einem traditionellen Sandstein-Bruch in der Nähe von Pirna, beobachtet er seinen Freund, den Bildhauer Peter „Mac“ Makolies, bei der Arbeit. Böttcher, der ja als Maler durch den Ausschluss aus dem VBK eigentlich unter Berufsverbot stand, bekennt sich hier zu seiner Passion, wenn auch in der Vergangenheit (O-Ton: „Damals war ich Maler.“). Im sparsamen Off-Kommentar benutzt der Filmemacher erstmals ein „Ich“ als Orientierungsgröße, verzichtet endlich auf das unverbindlich-pathetische „Wir“. 

Frau am Klavichord (Jürgen Böttcher, DDR 1981, 17min)

Drittes Kapitel der Trilogie „Verwandlungen“, mit der Böttcher einen der ganz wenigen explizit-experimentellen Filme der DEFA realisieren konnte. Nie vor- und auch nicht nachher kamen seine filmischen Arbeiten derart entspannt, lustvoll und sogar selbstironisch daher. Aus den Originalvorlagen der Bilder von Paulus Potter (1625- 1654), Giorgione (1478-1510) und Emanuel de Witte (1617-1692) und weiterer, nicht ausgewiesener Maler entspinnt sich ein Spiel von Verwandlungen und Aneignungen. Historische Tableaus werden durchzogen von Netzen aus Linien und Flächen, sehen sich belagert von überdimensionierten Kugeln, Quadern, Pyramiden; ungebetene Gäste halten Einzug. Realfilm-Szenen mit der malenden Hand des Künstlers oder ins Neubau- Fenster gestellten Objekten wechseln mit Doppelbelichtungen, Stop-Motion-Effekten und den berühmten „Aufprojektionen“, die später zu einer Art Markenzeichen Böttchers werden sollten. Verweigerung auch auf der Tonspur: Schlürfen, Kratzen, Töne eines verstimmten Klaviers, die Endlosrille einer Schallplatte, manchmal menschliches Gemurmel, das ein wenig wie tibetischer Klostergesang klingt. „Die texturale Differenziertheit und rhythmische Phrasierung dieses Films ist ein Auslöse- und Bestätigungselement für das gesamte Spektrum des ‚anderen Films‘ in der DDR.“ (Christoph Tannert) 

5. Oktober// 19 Uhr// Freiraum Leuschner-Platz

Filme von Helke Misselwitz, Jürgen Böttcher und Joachim Hellwig 

Aktfotografie – z.B. Gundula Schulze  ( Helke Misselwitz, DDR 1983, 11 min)

Als Vorfilm für den Kinoeinsatz produziertes, ungewöhnliches Porträt über die Fotografin Gundula Schulze, deren Porträts und Akte Mitte der 80er Jahre in der DDR für Aufsehen sorgten. Helke Misselwitz konfrontiert die Aussagen Schulzes mit Aufnahmen aus dem DDR-Alltag und stellt das offizielle Frauenbild mit sanfter Ironie in Frage. 

Kurzer Besuch bei Hermann Glöckner  (Jürgen Böttcher, DDR 1984, 32min)

Herrmann Glöckner (1889-1987) gehörte neben Gerhard Altenbourg (1926-1989) und Carlfriedrich Claus (1930-1998) zu den großen Solitären der DDR-Kunst. Jeder einzelne von ihnen stand als lebendiger Beweis für die Möglichkeit, eine in hohem Maße autonome künstlerische Sprache zu entwickeln und zu bewahren – und dies trotz aller staatlichen Behinderungen und Eingriffe. Dass sich Böttcher Mitte der 80er dem ältesten dieser Pioniere zuwandte, spricht für sich. Als Maler jahrzehntelang selbst ohne Ausstellungsmöglichkeiten, porträtiert er einen seelenverwandten Kollegen. Ästhetisch in unterschiedlichen ästhetischen Positionen verortet, spürt man doch einen übergeordneten Konsens. Der jüngere, hinter der Kamera stehende Kollege stellt vorsichtige Fragen, der Ältere reagiert umgehend; dies entspannt, bisweilen ausgesprochen heiter. Der fast hundertjährige Glöckner zeichnet sogar hochkonzentriert vor laufender Kamera einige seiner berühmten „Kurvenblätter“. Glöckner verließ die DDR ein Jahr nach den Dreharbeiten in Richtung West-Berlin, wo er 1987 im Alter von 98 Jahren verstarb. 

A propos X (Joachim Hellwig, DDR 1988, 28min)

1988 fand in Dresden die 10. Kunstausstellung der DDR statt – es sollte ihre letzte werden. Im Dokumentarfilm „A propos X“ versuchte sich ausgerechnet DEFA- Propagandist Joachim Hellwig an einem Gruppenporträt von drei eher unangepassten, jungen Künstlern: Norbert Wagenbrett, Hubertus Giebe und Sabine Slatosch. Die Fragestellungen wirken teils übergriffig, teils naiv, lassen des Bestreben erkennen, fünf Minuten nach Zwölf, die nonkonforme Kunst doch noch in den Kanon des Sozialistischen Realismus einzubetten. Der Film gibt einen Vorgeschmack darauf, wie eine staatlich gelenkte Perestroika in der DDR ausgesehen hätte. 

7. Oktober// 19 Uhr// HGB Galerie (Wächterstraße 11, Leipzig)

Gegenbilder – Filmische Subversion in der DDR 

DDR 1982 bis 1989 – 100 Minuten – Kurzfilme – R: Diverse 

Dass es jenseits von Babelsberg (DEFA) und Adlershof (DDR-Fernsehen) auch eine rege unabhängige Filmszene in der DDR gab, war lange Zeit weitgehend unbekannt. Auf Anregung von Gerhard Wolf hin wurden ab 1995 im Archiv „ex.oriente.lux“ (Brotfabrik Berlin) diese Zeugnisse systematisch gesammelt, digitalisiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese Filme bilden inzwischen ein wichtiges Korrektiv zu den offiziellen Bildern, sind im Gegensatz zu diesen völlig frei von Zensur. Sie durchliefen keinerlei Zulassungsschranken, folgten einzig den Intentionen der Künstlerinnen und Künstler. Die Sammlung „Gegenbilder“ stellt einen Querschnitt von Arbeiten aus diesem Fundus dar. Gezeigt werden Filme von Tohm di Roes, Thomas Frysetzki, Gino Hahnemann, Cornelia Klauss, Ramona Koeppel-Welsh, Helge Leiberg, Via Lewandowsky, Claus Löser, Cornelia Schleime und Thomas Werner. 

8. Oktober// 19 Uhr// HGB Galerie (Wächterstraße 11, Leipzig)

Lichter aus dem Hintergrund (Helga Riedemeister, Deutschland 1998, 93min)

Wir sehen einen Mann bei der Arbeit, auf den Straßen Berlins, in der Dunkelkammer: Robert Paris, ein Fotograf, der in seinen Bildern auch immer das Verschwinden dokumentiert hat, der das Verschwindende in fotografischen Abbildern bewahren konnte. Die DDR war ein merkwürdiges Land – seine Verwalter behaupteten unentwegt den Fortschritt, gleichzeitig hatte sich in der Lebenswirklichkeit unvergleichlich mehr von einem „alten Deutschland“ erhalten als in seiner westlichen Hälfte. Nachdem dieser Staat selbst nicht mehr existierte potenzierte sich Geschwindigkeit der Veränderung. Der Fotograf spricht im Film den Satz: „Das ist nicht mehr meine Stadt.“ Und er hat immer weniger Lust, diese zu fotografieren. „Bestandsaufnahme mentaler Befindlichkeiten in Teilen der Ost-Berliner Künstlerszene, die auf die einschneidenden Veränderungen nach der Wende mit einer trotzigen Verweigerungshaltung reagieren. Ein einfühlsamer Dokumentarfilm, in dessen Mittelpunkt sensible Künstlerpersönlichkeiten stehen, die den Verlust ihrer Kreativität infolge der gesellschaftlichen Veränderungen konstatieren.“ (film-dienst)